Nechemia Peres im Peres Center for Peace and Innovation

Innovationen für eine bessere Welt

„Wir sollten unsere Gedanken und Ideen lieber gemeinsam diskutieren und miteinander teilen, um eine Zukunft aufzubauen, die alle ernähren kann.“ Für Nechemia (Chemi) Peres, den Vorsitzenden des Peres Center for Peace and Innovation und aktuellen Preisträger des Reinhard Mohn Preises, sind menschliche Intelligenz und Schaffenskraft die Basis für diese gemeinsame Zukunft und einen dauerhaften Frieden. Im Interview erklärt der engagierte Innovationsförderer, wie wichtig es deshalb ist, Menschen zusammenzuführen.

Text: Steffan Heuer   

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Dr. Jan C. Breitinger
Senior Project Manager

Inhalt

change: Herr Peres, der Begriff Innovation lässt sich vielseitig auslegen. Wie lautet Ihre Definition?

Chemi Peres | Für mich bedeutet Innovation, den Verlauf von Zeit und Geschichte zu ändern, indem man die Quelle für Macht, Größe und wirtschaftliche Aktivität von natürlichen Ressourcen hin zu intellektueller Schaffenskraft verschiebt, also all die Dinge, die es uns erlauben, in eine neue Ära geprägt von Wissenschaft und Technologie vorzustoßen. Es geht darum, unsere Intelligenz einzusetzen, um eine neue Realität zu schaffen, mit neuen Produkten und Dienstleistungen, die in der alten Welt nicht vorhanden oder nicht erschwinglich waren.

In der Begründung für die Verleihung des Reinhard Mohn Preises werden Sie gelobt für Ihr „herausragendes Engagement für Innovationsförderung, das gleichermaßen im Dienst von Wirtschaft und Gesellschaft steht“. Wie genau sieht diese doppelte Zielsetzung aus?

Wenn man sich der Frage als Geschäftsmann annähert, dann sollten alle Aktivitäten auf einen positiven Beitrag für den Menschen abzielen, egal ob es sich um die Gesellschaft, die Umwelt, die Wirtschaft oder die eigene Nation handelt. In meiner Rolle als Geschäftsführer von Pitango habe ich versucht, nicht nur herausragende Unternehmen zu kultivieren, sondern zugleich sicherzustellen, dass sich diese Unternehmen an den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen ausrichten und deren ESG-Parameter umsetzen. Auf der anderen Seite versuche ich als Vorsitzender des Peres Center for Peace and Innovation, Innovation und Unternehmertum – samt all der Werkzeuge, die Unternehmer:innen einsetzen – als Plattform zu benutzen, um Menschen zusammenzubringen, sei es innerhalb unserer Gesellschaft oder zwischen Israel und anderen Ländern in der Region. Beide Ansätze verbindet der Grundgedanke, dass wir ein neues Morgen schaffen. Wenn man die Schmerzen und Narben der Vergangenheit heilen will, müssen wir eine gemeinsame Zukunft aufbauen.

Bemerkenswerte Architektur mit einer ehrgeizigen Vision: Das 2009 eingeweihte „Peace-Haus” wurde von den Architekten Massimiliano Fuksas und Yoav Messer entworfen und liegt am Strand von Jaffa südlich von Tel Aviv.

Die meisten Deutschen werden nicht mit dem Peres Center vertraut sein. Wie würden Sie seine Vision, seinen Einfluss und seine Reichweite beschreiben?

Das Peres Center wurde vor 25 Jahren von meinem verstorbenen Vater Shimon Peres gegründet. Die ursprüngliche Idee bestand darin, den Friedensprozess zu privatisieren. Friedensverträge werden von Staatsoberhäuptern ausgehandelt und unterschrieben, aber die Menschen müssen sie annehmen und umsetzen. Wir müssen uns besser kennenlernen, zusammenarbeiten und eine neue Zukunft aufbauen. Das Center arbeitet seit vielen Jahren an zwischenmenschlichen Projekten oder „People to People“- Programmen, die Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft verbinden, insbesondere junge Erwachsene. Das umfasst Projekte in den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Umwelt, Sport und Gesundheit.

Können Sie ein paar konkrete Beispiele nennen, wie Ihr Center Menschen zusammenbringt?

Im Gesundheitssektor betreiben wir seit 17 Jahren das Programm „Saving Children“, um kleine Kinder zu heilen und ihr Leben zu retten. Dazu bringen wir Kinder im Alter von ein bis zwei Jahren mit ihren Familien aus den palästinensischen Gebieten oder von anderen Orten im Nahen Osten zur Behandlung in israelische Krankenhäuser. Bisher haben wir 12.580 Kindern das Leben gerettet. Als die Hilfsanfragen zunahmen, starteten wir ein weiteres Programm namens „Training Physicians“. Wir schicken junge palästinensische Ärzt:innen, die gerade ihr Studium im Ausland abgeschlossen haben, für ihre Fachausbildung an israelische Krankenhäuser. Sie lernen Hebräisch, arbeiten in israelischen Krankenhäusern und operieren israelische Bürger:innen. Rund 270 Ärzt:innen haben dieses Programm bisher absolviert und dabei auf die eine oder andere Weise eine Million Patient:innen behandelt.

Beim Thema Sport konzentrieren wir uns auf die Erziehung für das Leben und für den Frieden. Mithilfe von Sportarten wie Basketball oder Fußball bringen wir Heranwachsende einander näher. Wir nennen diesen Ansatz „Fair Play“, denn sie lernen ohne Schiedsrichter: in zu spielen. Wenn es ein Missverständnis gibt, müssen sie es friedlich lösen, selbst wenn sie nicht dieselbe Sprache sprechen. Diese Werte nehmen sie anschließend mit zurück in ihren Alltag.

Vor Kurzem haben wir uns entschieden, unsere Aktivitäten noch weiter auszubauen. Wir bieten seitdem Führungen in unterschiedlichen Sprachen durch vier Ausstellungsbereiche. Besuchende sollen inspiriert werden, das Potenzial von Unternehmer:innen zu verstehen – was der Einzelne alles erreichen kann, wenn er Technologie und Innovation  erfolgreich einsetzt.

Israelische Innovationen und unternehmerische Erfolgsgeschichten sollen kommende Generationen inspirieren: Mehr als 100.000 Menschen aus aller Welt besuchen die interaktiven Ausstellungen im Peres Center jedes Jahr.

Wie viele Menschen haben Sie insgesamt mit diesen Programmen erreicht?

Wir begrüßen jedes Jahr zwischen 100.000 und 150.000 Besuchende aus dem In- und Ausland, von Schulkindern über Firmenchef:innen und Investor:innen bis zu Diplomat:innen und Staatsoberhäuptern. Ende 2021 werden wir die digitale Version des Centers starten und so unsere globale Reichweite auf mehrere Millionen Menschen im Jahr ausdehnen. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass wir keine politische Plattform sind. Dies erlaubt es uns, den Dialog mit verschiedenen Teilen unserer Gesellschaft zu führen, vom linken bis zum rechten Rand des politischen Spektrums. Am Ende des Tages leben wir alle in einem Universum und auf einem Planeten, im Falle Israels auf einer Insel. Deshalb sollten wir unsere Gedanken und Ideen lieber gemeinsam diskutieren und miteinander teilen, um eine Zukunft aufzubauen, die alle ernähren kann. Innovation deckt sich immer mehr mit dem Friedensprozess. Wenn man sich COVID-19 ansieht, dann kann man diese Vision in der Pandemie erkennen. Anstatt sich zu befehden, haben unterschiedliche Nationen mit vereinten Kräften versucht, das Virus zu verstehen, zu entschlüsseln und Impfstoffe zu entwickeln.

Es gibt Überlegungen, eine Außenstelle des Centers in Berlin einzurichten. Wie weit sind diese Pläne gediehen, und warum haben Sie den Standort Berlin ins Auge gefasst?

Wir hatten vor, nach dem Bau des Peres Center in Jaffa weitere Standorte im Ausland einzurichten, damit auch andere Länder ihre junge Generation inspirieren können, zu einer Innovationsnation zu werden. Geplant waren Zentren in den USA, in China und anderen asiatischen Ländern, in der arabischen Welt und in Europa. Sie sollten Knotenpunkte eines Netzwerks für „innovative Angelegenheiten“ – im Unterschied zu „auswärtigen Angelegenheiten“ – werden. Deutschland ist dabei ein wichtiger Standort, denn wir glauben, dass Deutschland und Israel gemeinsam eine Zukunft schaffen können, die sich von unserer gemeinsamen Vergangenheit unterscheidet. Wir können eine Menge zusammen anpacken, da in Deutschland so viele Industriesparten den Übergang zur Industrie 4.0 vollziehen und es jede Menge Forschungsaktivitäten im Gesundheitswesen und in der Medizin gibt.

Allerdings hat Corona all diese Bestrebungen erst einmal zunichtegemacht, und wir haben dabei bemerkt, dass wir auch ohne physische Zentren auskommen. Deswegen haben wir das Center im digitalen Bereich ausgebaut und werden damit bis Jahresende live gehen. Besuchende werden in der Lage sein, an virtuellen Führungen in verschiedenen Sprachen teilzunehmen, sodass wir eine Million oder mehr Menschen im Jahr erreichen können. Bis wir wieder zum normalen Geschäftsbetrieb übergehen und uns treffen können, werden wir uns auf den digitalen Aspekt konzentrieren. Unsere Mission lautet jedoch weiterhin, in zehn Jahren weltweit zehn Zentren zu haben.

Die "Halle der Inspiration" im Peres Center for Peace and Innovation - raumhohe Monitore machen die Ausstellung zu einem unvergesslichen visuellen Erlebnis. Besucher:innen entdecken dort, wie israelische Innovationen die Menschheit in einer Vielzahl von Bereichen geprägt haben.

Bevor Sie als Investor in die Start-up- und Technologie-Szene eingestiegen sind, waren Sie zehn Jahre lang Pilot in der israelischen Luftwaffe. Was waren die wichtigsten Lehren und Einsichten, die Sie mitgenommen haben, als Sie mit 28 aus dem Dienst ausschieden?

Meine Zeit als Pilot war eine hervorragende Schule fürs Leben, und ich habe damals mehrere Dinge gelernt, die für meine Arbeit als Risikokapitalgeber und am Peres Center hilfreich sind. Als Erstes, wie wichtig es ist, den Einzelnen wertzuschätzen. Der Mensch steht an erster Stelle, wenn man in ein System eingebunden ist, in dem die persönliche Leistung zählt und das von einem verlangt, Missionen in kürzester Zeit erfolgreich abzuschließen. Man muss Führungsqualitäten entwickeln und die Bedeutung von Systemen, Technologie und Geräten erkennen. Zweitens sind die Grenzen des Möglichen immer weiter entfernt, als wir denken. Man lernt, Risiken einzugehen. Drittens gewöhnt man sich daran, von anderen für seine Handlungen unter die Lupe genommen zu werden. In der Besprechung nach einem Manöver oder einem Einsatz muss man sehr ehrlich mit seinen Stärken und Schwächen umgehen, sonst kann man nichts dazulernen und sich nicht verbessern. Außerdem lernt man, unabhängig zu denken und nicht nur Befehlen zu folgen, sondern sie infrage zu stellen. Letztendlich geht es um Teamwork. Und ich habe gelernt, dass Frieden dem Krieg vorzuziehen ist. Es ist besser, Dinge zu schaffen und aufzubauen.

Israel ist ein kleines Land mit gut neun Millionen Einwohner: innen, doch es hat eine erstaunliche Anzahl innovativer Technologien und Unternehmen hervorgebracht. Wie lässt sich diese Erfolgsgeschichte erklären?

Über viele Jahre hinweg war die Innovation von der nackten Notwendigkeit getrieben, da Israel keine natürlichen Ressourcen besitzt. Wir mussten alles, was wir brauchten, mit unserer Intelligenz erwirtschaften – das war die Grundlage unseres Überlebens. Aber da wir nun wirtschaftlich und militärisch stark sind, stellt sich die Frage, woraus sich unsere Innovationskraft speisen wird und wie wir unsere Spitzenstellung behaupten können. Mein Vater sagte immer, der größte Beitrag des jüdischen Volkes sei seine Unzufriedenheit. Wir haben immer etwas auszusetzen – und das wird uns auch weiterhin innovativ sein lassen. Aber das reicht nicht. Heutzutage muss Innovation einen höheren Zweck verfolgen. Wir müssen die Zukunft nicht nur für uns, sondern für den Rest der Welt gestalten. Einige jüdische und israelische Werte sind universelle Werte. So glauben wir an Solidarität und „Tikun Olam“, das heißt, wir wollen die Welt heilen und verbessern.

In seinem Element: Chemi Peres, unser Reinhard Mohn Preisträger 2020, im Peres Center for Peace and Innovation.

Investor:innen reden gerne von der Disruption, der zerstörerischen Kraft, die zur Innovation gehört. Erst in jüngster Zeit hat sich der Gedanke des Impact Investing durchgesetzt, mit dem man andere, nachhaltigere Ziele verfolgt. Sehen Sie sich ein bisschen als ein Außenseiter der Finanzbranche?

Das Wort Disruption gehört zur alten Welt, in der wir uns gegenseitig störten, um in einem begrenzten Markt mit einer festen Zahl von Kund:innen den Sieg davonzutragen. Wenn man sich das Vokabular der Geschäftswelt ansieht, dann ist es stark der Welt des Krieges entlehnt. Man dringt in einen Markt ein, man holt sich den Löwenanteil, man fährt anderen in die Parade und so weiter. Wir müssen unsere Sprache ändern und darüber nachdenken, wie wir neue Märkte schaffen können, anstatt bestehende zu stören, und wie wir diese Märkte für alle erschwinglicher machen, anstatt nur noch reicher zu werden. Außerdem müssen wir unseren Impact nicht nur anhand von finanziellen Kennziffern messen, sondern mit einem breiteren Spektrum an Schlüsselzahlen.

Wenn Sie sich mit Menschen in aller Welt unterhalten – egal ob es Unternehmer:innen, Investor:innen oder Politiker:innen sind –, haben Sie dann den Eindruck, dass dieses neue Denken zunehmend mehr Anhänger:innen findet?

Zweifelsohne. Wir alle erleben gerade, wie sich ein signifikanter Klimawandel direkt vor unseren Augen abspielt, in Form von Feuersbrünsten, Überschwemmungen und Dürren. Wir sehen, was passiert, wenn wir rücksichtslos handeln und immer nur mehr wollen, ohne auf andere Dinge zu achten. Wenn man glaubt, dass ein Unternehmen für das Wohl der Menschheit nur Profite beisteuern kann, dann sind wir auf dem falschen Weg. Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Werden wir uns ändern können, bevor es zu spät ist? Einige Unternehmen versuchen gerade, den Druck zu nutzen und sich an die Spitze dieses Wandels zu setzen. Aber wir brauchen mehr Gesetze und klare Vorgaben, wie man Unternehmen beurteilen und messen kann, und obendrein mehr weltweite Zusammenarbeit.

Wir müssen die Zukunft nicht nur für uns, sondern für den Rest der Welt gestalten.

Nechemia Peres, Reinhard Mohn Preisträger 2020

Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Auszug aus dem aktuellen change-Magazin (2/2021).

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